Atelier: 06. bis 11. August 2002,
Ausstellung: 28. Oktober bis 30. November 2002 , Rössliwiese Zug

Plakatatelier und –Ausstellung: ›Islam im Kanton Zug – Integration statt Vorurteile

148 Weltformat-Plakate an 65 Standorten auf öffentlichen Plätzen in Baar, Cham, Hünenberg, Menzingen, Neuheim, Oberwil, Oberägeri, Risch/Rotkreuz, Steinhausen, Walchwil und Zug

Aktion statt Reaktion, lautet unser inoffizielles Motto. Im Jahr 02 kam es beim Projekt ›Islam im Kanton Zug – Integration statt Vorurteile‹ besonders zum Tragen. Mit Ansichtskarten, Plakaten und öffentlichen Diskussionen wurde die Heterogenität der Zuger Musliminnen und Muslime punkto nationale Herkunft, Alter, Beruf, religiöse Orientierung sichtbar gemacht.

Dass wir mit unseren Plakaten, als in der Öffentlichkeit am meisten sichtbaren Teil des Projektes, nicht überall auf Zustimmung stossen würden, wussten wir. Die Plakate begeisterten manche und empörten andere. Von einigen wurden sie gründlich missverstanden - weil vor lauter Angstmacherei in Politik und Medien die wirklichen Gefahren nicht mehr gesehen werden? Wir halten solche Irritationen in einem Klima der Ängstlichkeit für politisch heilsam. Denn die erfolgreichste Schweizer Partei der Gegenwart lehrt uns, dass man mit Furchtlosigkeit etwas erreichen kann. Im Gegensatz zu dieser Partei macht das Integrationsnetz dies weder auf Kosten von bestimmten Bevölkerungsgruppen noch auf für unser Staatswesen destruktive Art.

Das Atelier bot ein kreatives und inhaltlich herausforderndes Freizeitprogramm für Jugendliche in der Sommerferienzeit. Die Jugendlichen erhielten eine Plattform, damit sie ihre Erfahrungen, ihre Ängste und ihre Appelle bezüglich Fremdenfeindlichkeit und Vorurteilen zum Ausdruck zu bringen konnten. Die Jugendlichen erhielten bei der Gestaltung der Plakate sowohl inhaltlich wie formal ein Coaching. Einige der Teammitglieder hatten dazu NCBI-Kurse zu interkulturellen Konfliktlösungsstrategien besucht, um mit Spannungen und Missverständnissen umgehen zu können. Das Atelier fand, v.a. bei schlechtem Wetter in einem 6 x 10m-Zelt statt; die räumliche Enge war nicht nur logistisch schwierig, sie forderte auch die interkulturelle Toleranz aller Beteiligten heraus. In einem in jeder Hinsicht positiven Sinn! Teilen von Platz und Farben, aufeinander Rücksicht nehmen und sich aufmuntern trotz Nässe und Kälte konnte so gut eingeübt werden – und dies idealerweise in einem multikulturellen Umfeld.

Dadurch, dass die Plakate im öffentlichen Raum an einer gut frequentierten Lage produziert wurden, setzten sich die GestalterInnen bewusst auch dem Dialog mit der Öffentlichkeit aus, welche so ins Projekt einbezogen wurde. Als künstlerische Exponate, die einen gesellschaftspolitischen Inhalt transportierten, regten sie das Publikum im öffentlichen Raum zum Denken, Diskutieren und schliesslich auch Handeln an.

An der Diskussionsplattform vom 28. August 2002 wurde das Thema inhaltlich vertieft diskutiert. Lesen sie dazu mehr unter Diskussionsplattformen Plattform 6

Für alle drei Projektaktivitäten – Ansichtskarten, Plakatatelier, Podiumsdiskussion konnten wir uns auf unsere bisherigen Erfahrungen stützen. Formal und ästhetisch gelang es, ein einheitliches graphisches Konzept in Karten, Posters und Plakaten durchzuziehen. Die meist jugendlichen PlakatmalerInnen erwiesen sich als top motiviert und kreativ. Insgesamt malten bzw. schrieben in den sechs Tagen 63 verschiedene Personen aus rund 15 Nationen im Alter zwischen 6 und 60 Jahren 153 verschiedene Plakate. Weitere rund 40 Personen waren an den Vorbereitungen, an der Verpflegung oder an der Ausstellung beteiligt: So sorgten eine marrokanisch-schweizerische, eine afghanische, eine iranische, eine tamilische und eine kurdisch-türkische Familie jeweils für ein Gratis-Nachtessen für alle PlakatmalerInnen. Manche PassantInnen verwechselten das Atelier mit einer Beiz und hätten gerne für den Ethno-Food bezahlt. Doch die Devise lautete: gemeinsam Plakate schreiben – gemeinsam und gratis essen.


Zur muslimischen Wohnbevölkerung im Kanton Zug

Rund 4 Prozent der im Kanton Zug lebenden Personen (Wohnbevölkerung) sind Muslime und Musliminnen. Zum Vergleich: 1864, als im Kanton Zug die reformierte Kirchgemeinde anerkannt und die reformierten EinwohnerInnen der katholischen Bevölkerungsmehrheit gleichgestellt wurden, betrug der prozentuale Anteil der Reformierten an der Zuger Bevölkerung ungefähr ebensoviel. Und wie heute die MuslimInnen, waren auch die Reformierten Zuwanderer, die sich allmählich in die Zuger Gesellschaft integrierten und diese auch weiter entwickelten. Ansonsten unterscheidet sich die Situation der zugerischen MuslimInnen grundlegend von jener der damaligen Reformierten: Die Reformierten waren hauptsächlich SchweizerInnen aus anderen Kantonen – die MuslimInnen sind EinwandererInnen aus der ganzen Welt, von denen die Mehrheit den Schweizer Pass (noch) nicht besitzt. Zweitens organisieren sich die MuslimInnen in vorab nationalen Gruppen sowie entlang den verschiedenen religiösen Richtungen. Ein Dachverband existiert im Kanton Zug nicht. Zu unterscheiden ist zwischen den alltäglichen Lebens- und Arbeitsbedingungen von Musliminnen und Muslimen im Kanton Zug und zwischen der Thematik ihrer Glaubensausübung. Eine Mehrheit der Muslime ist von denselben strukturellen Benachteiligungen betroffen wie die Mehrheit der MigrantInnen allgemein. Man darf auch nicht vergessen, dass etliche MigrantInnen aus islamisch geprägten Ländern ihrer Religion indifferent gegenüber stehen und sich selber nicht über den Islam definieren. Doch auch diese Menschen bekommen antiislamische Vorurteile zu spüren. Besonders trifft es aber diejenigen Musliminnen und Muslime, die durch ihre Kleidung oder ihre Lebensweise ihre Religiosität demonstrieren. Im Gegensatz zur früheren reformierten Minderheit verfügen die muslimischen Gläubigen über keine zu diesem Zweck erbauten Gebetsstätten. Die Moscheen befinden sich in umgenutzten Gewerberäumen, womit die Marginalisierung der muslimischen Gläubigen auch noch auf einer räumlich-symbolischen Ebene ausgedrückt wird. Gleich verhält es sich mit der religiösen Unterweisung durch dafür ausgebildete Lehrpersonen. Entweder fehlt diese ganz oder sie ist davon abhängig, ob der betreffende Verein einen vom Herkunftsland mandatierten Religionslehrer, der mit der Schweizer Gesellschaft unvertraut ist, vom Konsulat bezahlt bekommt oder selber bezahlen kann. Von schweizerischer Seite wird der Islam oft mit den streng gläubigen Angehörigen dieser Religion identifiziert, mit deren Auffassungen bezüglich Geschlechterrollen, Freizeitverhalten etc. man Mühe bekundet. Dadurch blendet man all jene Musliminnen und Muslime aus, die wie ›du und ich‹ leben. Negative Zuschreibungen verstärken auch Tendenzen, wie sie in einem Teil der muslimischen Gemeinschaft zu beobachten sind: nämlich Re-Ethnisierungsprozesse, die zu konservativen Lebens- und Glaubensauffassungen führen, mit welchen ein bewusster Gegensatz zu den weit gehend säkularliberalen Werten der Schweizer Gemeinschaft formuliert wird. Vielen muslimischen Jugendlichen fehlen positive Leitbilder, in denen MuslimInnen als selbstbewusste, von der Schweizer Gesellschaft als gleichwertig akzeptierte und ihrerseits als sich mit der Schweizer Gesellschaft identifizierende Personen, also als zugehörig und integriert, aber nicht einseitig assimiliert, auftreten.



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