Plattform 16:

Montag, 26. Oktober 2009, Stadt- und Kantonsbibliothek Zug (Dachraum)

Thema: ›Islam und Integration‹ mit Amira Hafner Al-Jabaji

›Ein unsichtbarer Islam kann niemals ein integrierter Islam sein, sondern im besten Fall ein versteckter,
was gewisse Risiken birgt‹.

Bereits konnte unsere Moderatorin Cilem Didar Toere zur dritten halb-öffentlichen Diskussionsplattform der Reihe ›Facetten des Islam im Kanton Zug‹ begrüssen: Motto des Abends waren die vielfältigen und vielschichtigen Verflechtungen von Islam, Migration und Integration in der Schweiz respektive in Zug.

Die inhaltliche Vertiefung lieferte diesmal die irakisch-deutsch-schweizerische Islamwissenschafterin Amira Hafner Al-Jabaji, Mitgründerin des Vereins ›Granges Mélanges‹ in Grenchen. Eine ›Grande Mélange‹ im verschiedenen Wortsinne war denn auch zur heutigen Debatte erschienen: Wir freuten uns – ohne gross Öffentlichkeitsarbeit betrieben zu haben – rund 40 Personen unterschiedlichster Herkunft, Religion und Funktion zu treffen. Die Diskussionen waren lebhaft, engagiert und vermochten auch diverse Aspekte, Achsen und Auseinandersetzungen innerhalb des Islam aufzuzeigen, die den meisten anwesenden Nicht-MuslimInnen wohl kaum bekannt waren.

Hafner Al-Jabaji wies in ihrem Input auf das komplexe Verhältnis von Religion und Integration hin, wobei Religion für Zugewanderte ja keineswegs das einzige sinnstiftende Element darstellen müsse. Die Referentin beobachtet derzeit vor allem sich verschärfende Debatten in der Mehrheitsgesellschaft: Meist geht es um die Frage, was am Islam verhandelbar ist und was nicht. Zunehmend wird Religion im gesellschaftlichen und politischen Diskurs als nicht eben förderlich für Integration betrachtet oder diesbezüglich gar mit einem negativen Vorzeichen versehen. Der Islam soll für seine hiesigen Glaubensangehörigen gemäss diesem Blickwinkel dieselbe Rolle spielen, wie die ›angestammteren‹ Kirchen, wie das Christentum in der Schweiz: Er hat eine Privatsache zu sein. Religion oder eben der Islam hat darüber hinaus, gerade angesichts von Sprach- und Integrationsproblemen, Diskriminierungen und ›Andersartigkeit‹ von Zugewanderten aber auch eine wichtige gemeinschaftliche Funktion, er kann Zugewanderten eine ›Aufgehobenheit‹ in der Schweiz bieten.

Die neue Sichtbarkeit des Islam in der Schweiz


Mit der Volkszählung im Jahre 2000 rückte Religion hierzulande unversehens zurück ins öffentliche Bewusstsein, weil zwei Tatsachen unmissverständlich belegt wurden.

Erstens: Der grosse religiöse Trend hierzulande ist die Konfessionslosigkeit, die stetig zunimmt.

Zweitens: Die drittgrösste Relgion der Schweiz ist der Islam – das eigene Bekenntnis zu einer Gemeinschaft scheint gerade in der Diaspora ungebrochen, ja gar stärker zu sein als im Herkunftsland. Über die Glaubensausübung, die kultische Praxis ist damit aber noch nichts gesagt. Vor 2000 waren es hauptsächlich Kirchen, Schulen und Behörden, spezifisch Bauämter, die sich mit den gesellschaftlich relevanten Dimensionen des Islam (Moscheen, Schuldispense etc.) in der Schweiz zu befassen hatten, heute sind es immer mehr mehrheitsgesellschaftliche Foren und Medien, die sich in die Debatte einmischen: Es war ein sozialdemokratischer Kantonsrat, der 2004 das Kopftuchverbot aufs Tapet brachte, die CVP Schweiz hat eigens ein Islampapier verfasst und die SVP wird nicht müde, sich der Thematik zu bedienen.

Die zugrunde liegende These ist dabei meist: Religion und Integrationsförderung lassen sich schlecht vereinbaren. Gerade umgekehrt könnte man jedoch auch argumentieren: Nach Jahrzehnten der Zuwanderung muslimischer Menschen in die Schweiz regt sich nun das Bedürfnis nach der eigenen Religion stärker als früher, vielleicht gerade weil ihre Zugehörigkeitsgefühle zur Schweiz soweit gestärkt sind, dass sie auch eine öffentlich-rechtliche, eine gesellschaftliche Anerkennung ihres Glaubens erwarten (können). Viele Zugewanderte muslimischen Glaubens fühlen sich in der Schweiz zu Hause, sie haben manchmal keine andere Heimat mehr, in ihrer Selbstdefinition ist schweizerische und muslimische Identität nicht selten eng verbunden. Für den schweizerischen föderalen Staat stellen sich in der Folge auf allen Ebenen Fragen danach, wie er unsere in der Bundesverfassung verankerten Rechte, sprich die Religionsfreiheit, umsetzen kann und soll. Hafner Al-Jabaji spricht in diesem Kontext vom ›hegemonialen Ringen‹.

Zukunftsperspektiven und Integrationschancen eines schweizerischen Islam

Die Spannung zwischen individuellem Glauben und Zugehörigkeitsgefühl (der Islam ist eine Bekenntnisreligion) und – eher traditioneller gemeinschaftllicher Glaubenspraxis zeigt sich besonders stark in der zweiten und allenfalls dritten Einwanderungsgeneration: Rund ein Drittel der Muslime in der Schweiz ist unter 30 Jahre alt. Diese jungen Menschen stehen heute oft vor dem Dilemma, sich für eine Lebensperspektive entscheiden und damit der/den anderen eine Absage erteilen zu müssen. Zugehörigkeit und Abgrenzung gehen Hand in Hand, dabei ist Identität nie nur eindimensional – Abstufungen oder Priorisierungen sind es, die Integration vereinfachen können.

Selbstredend gilt der Rahmen der Rechtsstaatlichkeit für alle in der Schweiz lebenden Menschen, dies ist jedoch für den allergrössten Teil der Muslime ohnehin eine Selbstverständlichkeit. Was sie zukünftig wirklich benötigen, ist eine Befähigung, gesellschaftlich, ökonomisch und politisch sowie einen verstärkten Einbezug in unsere Demokratie und Zivilgesellschaft, nicht nur wenn es um ihre eigenen Anliegen geht.

Konkret müssten wir über ihre Eingliederung in bestehende Regelstrukturen nachdenken: Islamische Gemeinschaften sollten kommunal, kantonal und national klarer strukturiert und organisiert werden. Entscheidend ist die öffentlich-rechtliche Anerkennung, ansonsten könnte ein Rückzug der Muslime drohen. Ein weiterer zentraler Punkt ist dabei auch eine verbesserte (universitäre) Aus- und Weiterbildung muslimischer Geistlicher und Schlüsselpersonen, was zusätzlich zu theologischen, philosophischen und didaktischen auch Kenntnisse über die hiesigen rechtlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen betrifft.

Was die Genderdimension angeht, so sollten wir bei Anwürfen hinsichtlich der Frauenfeindlichkeit des Islam bedenken, dass die christlichen Glaubensgemeinschaften sich diesbezüglich auch nicht eben leicht taten – und tun. Nichtsdestotrotz geht für die Referentin kein Weg an einer breiten, innerislamischen Debatte über die Chancengleichheit der Frau im Glaubensleben vorbei. Bauliche Massnahmen und angeblicher Platzmangel in Moscheen sind keine Gründe, um weibliche Zugänge einzuschränken und Frauen zu marginalisieren. Die derzeitige leidige Debatte um 4 Minarette und die angeblich schleichende Islamisierung der Schweiz geht an einer substantiellen Auseinandersetzung mit den Facetten des Islam und seiner Sichtbarkeit vorbei.

Wieso haben Menschen hier denn derart Angst vor dem Islam, wenn sie in ihrem eigenen Religionsverständnis so sicher sind?

Die grosse Heterogenität der Anwesenden, Menschen aus sunnitisch-, alevitisch-, agnostisch-, säkularisiert- oder gar atheistisch-muslimischem Umfeld ebenso wie MigrantInnen anderer Religionszugehörigkeiten und ›einheimische‹ SchweizerInnen, trug gleich massgeblich dazu bei, der Forderung der Referentin nach mehr fundiertem (innerislamischem) Dialog nachzukommen:

Eine erste Differenzierung und Diskussion betraf die Relevanz der Minarette im Islam: Auch in der muslimischen Welt sind sie nicht überall üblich und zwingend – die 4 Minarette sind kaum das Kerninteresse der schweizerischen MuslimInnen. Eher ist es die von Hafner Al-Jabaji im Referat betonte Sichtbarkeit und Anerkennung, die sich auch anders bewerkstelligen liesse, als über Gebetstürme. Angesprochen wurden etwa christliche Kirchensteuern (auch für Muslime) sowie muslimische Beerdigungs- oder Bestattungsmöglichkeiten. Viele muslimische Gebetsräume liegen ausserdem in Industrievierteln und sind eher Provisorien denn Moscheen: Soll man diese Provisorien nun mit Gebetstürmen festigen? Die Kernfragenlautet: Welche gesellschaftlichen Ebenen spricht man damit eigentlich an und was ist der Zusammenhang zu struktureller Integration?

Betont wurde von verschiedener Seite die Relevanz einer Demokratisierung (Identifikationschancen, etwa durch erleichterte Einbürgerung) und eines Einbezugs von Minderheiten innerhalb des schweizerischen Islam: Z.B. fühlen sich AlevitInnen den Moscheen (noch) nicht zugehörig. Dreh- und Angelpunkt ist die Frage der Moderne und der Modernisierung, dazu bräuchte es gemäss Hafner Al-Jabaji etwa einen Generationenwechsel in der Leitung der muslimischen Gemeinschaften der Schweiz, verbesserte Ausbildungen für die islamischen ›Eliten‹ und Schlüsselpersonen sowie eine verstärkte Partizipation der MuslimInnen als BürgerInnen.

Soweit ist man in der Schweiz noch lange nicht.

›Wir Muslime müssen unser Leben hier leben – egal was der türkische Ministerpräsident über die Speerspitzen des Islam gesagt hat‹, meinte ein Diskussionsteilnehmer.

Natürlich hätten viele SchweizerInnen Unklarheiten und Vorbehalte, gar Ängste hinsichtlich des Islam. Aber rund 90% der hiesigen MuslimInnen sind säkular und staatstreu, sie schätzen die Meinungs- und Religionsfreiheit sowie die Demokratie und Konsenskultur der Schweiz sehr. Hafner Al-Jabaji sieht Gefahren für Zusammenleben und Demokratie viel stärker in Nationalismen aller Art – Religion habe an und für sich einen eher universalen und mitunter einigenden Charakter.

Wirklich bedenkenswert scheint schliesslich die Frage zu sein, inwiefern die Minarettverbotsinitiative und damit zusammenhängende Polemiken auch eine Chance für einen substantiellen und nachhaltigen muslimisch-schweizerischen Dialog über (inter-)religiöse und insbesondere interkulturelle und integrationspolitische Massnahmen darstellen können:

Bringen Informationen und Diskussionen in diesem Zusammenhang letztlich MuslimInnen und Nicht-MuslimInnen gar zu mehr Selbst-Bewusstheit und mehr Berührungspunkten? Oder, wie ein muslimischer Teilnehmender es treffender formulierte: ›Wieso haben Menschen hier denn derart Angst vor dem Islam, wenn sie in ihrem eigenen Religionsverständnis so sicher sind?‹

Flyer (PDF)


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