Plattform 14:

17. Juni 2009, Stadt- und Kantonsbibliothek Zug (Dachraum)
14. Diskussionsplattform anlässlich der Jahresversammlung des Vereins Integrationsnetz Zug

Input und Auftakt: ›In der Schweiz ist die ganze islamische Welt vertreten‹ - mit Rifa'at Lenzin

Die pakistanisch-schweizerische Islamwissenschafterin Rifa'at Lenzin eröffnete den diesjährigen Veranstaltungsreigen des Vereins Integrationsnetz Zug.

Die Generalversammlung wählte Valentina Smajli zur neuen Vereinspräsidentin.

Unter der Leitung der abtretenden Präsidentin Anu Sivaganesan führte das Integrationsnetz Zug seine Jahresversammlung vor rund 30 Anwesenden durch. Für viele war es eine Première – motiviert durch die Veranstaltung mit Rifa'at Lenzin im zweiten Teil des Abends. Die in Zürich lebende Islamwissenschafterin engagiert sich seit Jahren für den interkulturellen und interreligiösen Dialog.

In ihrem Referat stellte sie eine markante Änderung in der öffentlichen Wahrnehmung fest: Vor einigen Jahrzehnten noch als türkische oder jugoslawische ›Gastarbeiter‹ bezeichnet, würden Menschen muslimischer Herkunft heute zumeist als Problem empfunden und in einen Topf geworfen. Dabei spielt der Terroranschlag vom 11. September 2001 eine zentrale Rolle. Dazu komme, dass der Islam und der mit ihm gleich gesetzte islamistische Fundamentalismus das frühere Feindbild des Kalten Krieges abgelöst habe. Dieses Feindbild ignoriert die Verschiedenheit der Menschen mit dem Etikett ›Muslime‹. So betonte Lenzin, dass es auch etwa atheistische und säkulare Muslime gebe.

Als Hauptproblem der praktizierenden Muslime nannte die Wissenschafterin die fehlende öffentlich-rechtliche Anerkennung als religiöse Gemeinschaft in der Schweiz. Eine solche würde die ›kirchliche‹ Besteuerung der Muslime erlauben und damit auch Mittel für die Ausbildung von Imamen in der Schweiz sowie für einen Ausbau an jugendarbeiterischen und seelsorgerischen Dienstleistungen bereitstellen. Eine Anerkennung würde von Seiten des Schweizer Staates jedoch eine gemeinsame Dachorganisation voraussetzen – und das ist in der Schweiz, wo laut Lenzin ›die ganze islamische Welt vertreten ist‹, alles andere als einfach.

›Kultur ist Integration‹ und verändert sich dauernd


Recht eigentlich unter den Nägeln brennt den Schweizer Muslimen und Musliminnen die Zukunft ihrer Kinder: Haben sie die gleichen Chancen auf Ausbildungsplätze? Wie ist mit unterschiedlichen Erziehungsvorstellungen in der Schule umzugehen? Gleichzeitig räumte Lenzin ein, dass die Kopftuchfrage oder der Schwimmunterricht nur eine kleine Minderheit der Personen muslimischer Herkunft wirklich beschäftige.

Dabei sei die Diasporagemeinschaft oft konservativer als das Herkunftsland. Immer wichtiger wird auch die Bestattungsfrage. Und ein grosses Problem sind für Gläubige wie für Säkulare die wachsenden anti-muslimischen Tendenzen in der Mehrheitsgesellschaft. Solche Tendenzen würden bewusst geschürt, etwa mit der Minarett-Initiative, von der sich Lenzin eine wuchtige Ablehnung wünscht, während eine nur knappe Verwerfung oder gar eine knappe Annahme das gesellschaftliche Klima weiter vergiften würden. In der Diskussion wurde die Meinung geäussert, dass es auch unter den Muslimen Spannungen und Ungleichheit gebe – etwa zwischen sunnitischen und alewitischen Personen aus der Türkei – und dass Muslime auch unter Vorurteilen von anderen Migrantengruppen litten. Der Einladung zum Gespräch, in dessen Verlauf auch die Anregung fiel, einen eigenständigen ›Euroislam‹ zu pflegen, waren auch verschiedene Vertreter islamischer Vereine im Kanton Zug, wo es vier islamische Gebetshäuser gibt, gefolgt.

Diese gemeinsame Dialogsuche und die Identifikation der Bedürfnisse der Muslime für ein besseres Leben und Zusammenleben im Kanton Zug sind die Hauptziele des Projekts ›Facetten des Islam‹ in dessen Rahmen das Integrationsnetz eine Postkartenaktion, eine Plakatausstellung in allen Zuger Gemeinden und am Menschenrechtstag eine grosse Abschlussdiskussion veranstalten will.

Als weitere Schwerpunktaktivitäten werden die Informationswebsite ›zuginfo.ch‹ für migrantische NeuzuzügerInnen ausgebaut und die 2008 produzierten neuen ›Heimaten‹-T-Shirts des Integrationsnetzes Zug vertrieben. Schliesslich wird im Hinblick auf das 10-jährige Jubiläum das Vereins eine grosse Ausstellung mit dem Titel ›Kultur ist Integration‹ geplant, die von der Hochschule für Kunst und Gestaltung Luzern inhaltlich und gestalterisch begleitet wird.

Aus dem Vereinsvorstand traten Sanaz Rahimifar und Marlène Schenk zurück, während der aus dem Sudan stammende Suliman Mutwakil neu in das Gremium gewählt wurde. Im Präsidium kam es zu einer Stabübergabe von Anu Sivaganesan an Valentina Smajli. Smajli, die sich als im konservativen Obwalden aufgewachsene Schweizerin mit kosovarischen Wurzeln bezeichnet, plädierte dafür, kulturelle Werte nicht als etwas Stehendes zu begreifen, sondern als etwas, dass der stetigen Veränderung unterworfen sei.

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